Kompromisse sind in Politik und Gesellschaft allgegenwärtig – und doch wissenschaftlich kaum untersucht. Doch was ist ein Kompromiss? Und unter welchen Voraussetzungen sind Kompromisse überhaupt möglich? Das Forschungsprojekt „Kulturen des Kompromisses“ an den Universitäten Duisburg-Essen, Münster und Bochum widmete sich der Beantwortung dieser gesellschaftlich relevanten Fragen.

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Kompromisse sind in aller Munde. In politischen Diskussionen, in gesellschaftlichen Debatten, in journalistischen und wissenschaftlichen Zeitdiagnosen wird darüber gestritten, wie es um den Kompromiss in den liberalen Gesellschaften der Gegenwart steht. Auf der einen Seite wird – insbesondere für die USA, aber auch für europäische Staaten – eine Abnahme der Kompromissbereitschaft konstatiert. Damit wird erklärt, warum gesellschaftliche Debatten heftiger und unversöhnlicher geführt werden, warum gegensätzliche politische Lager einander immer heftiger bekämpfen. Auf der anderen Seite beschwören Politikerinnen und Politiker ebenso wie Intellektuelle und Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft die Notwendigkeit, Kompromisse zu finden. Denn nur so bleibe Politik handlungsfähig, könne das Zusammenleben in pluralen Gesellschaften gelingen. Demgegenüber steht die Rede vom ‚faulen Kompromiss‘. Gemeint sind damit Einigungen, die als unredlich, prinzipienvergessen oder zulasten Dritter angesehen werden.
Das Thema ist also allgegenwärtig – und doch erstaunlich wenig untersucht. Landläufig und in wissenschaftlichen Debatten wird allerorten über Kompromisse gesprochen, doch häufig bleibt unklar, was damit genau gemeint ist.
Wenn die Notwendigkeit beschworen wird, Kompromisse zu finden, wird vielfach nicht erklärt, unter welchen Voraussetzungen Kompromisse möglich und wünschbar sind. Wenn faule Kompromisse getadelt werden, fehlen Hinweise darauf, anhand welcher Kriterien die jeweilige Übereinkunft so negativ bewertet wird. Hier Wissen bereitzustellen, war das Ziel des vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Kultur und Wissenschaft (MKW NRW) geförderte Forschungsprojekt „Kulturen des Kompromisses“ an den Universitäten Duisburg-Essen, Münster und Bochum.
Forschung im interdisziplinären Team und internationalen Austausch
Das Projekt „Kulturen des Kompromisses“ versammelte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fächern der Geistes- und Sozialwissenschaften, von der politischen Theorie und Politikwissenschaft über die Geschichte, die Kommunikations- und die Rechtswissenschaft bis hin zu den Literaturwissenschaften. Es hatte seine Arbeit im Januar 2022 aufgenommen und wurde bis Ende Februar 2025 vom MKW NRW gefördert. Die Projektleitung lag bei Prof. Dr. Ute Schneider (Universität Duisburg-Essen), Prof. Dr. Ulrich Willems (Universität Münster) und Prof. Dr. Constantin Goschler (Ruhr-Universität Bochum). Beschäftigt im Projekt waren sechs Postdoktorandinnen und -doktoranden sowie Forschungsstudierende aus verschiedenen Disziplinen. Für Tagungen und
des Projekts sind zahlreiche internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zahlreicher Disziplinen nach Nordrhein-Westfalen gekommen, um über Kompromisse und Konfliktlösung zu diskutieren.Forschungsfragen – Kompromisse unterschieden sich je nach Kontext
Doch was ist ein Kompromiss? Und wie prägen Kompromisse soziale Beziehungen und politische Systeme in Geschichte und Gegenwart? Das Projekt versteht ‚Kompromiss‘ als eine besondere Weise der Regulierung sozialer Konflikte. Konflikte können auf verschiedene Arten beendet werden: eine Seite setzt sich zulasten der anderen durch, friedlich oder mit Gewalt; alle Parteien finden eine für sie vorteilhafte Lösung, sie vereinbaren einen
; der Konflikt wird gelöst, indem ein von allen akzeptierter Konsens gefunden wird. Wenn all dies nicht passiert, schlägt die Stunde des Kompromisses: In diesem Fall machen alle Seiten unter Umständen schmerzhafte Zugeständnisse, ohne jedoch ihre ursprünglichen Positionen aufzugeben. Sie haben sich also auf eine spezifische Lösung, die ihnen in der Situation gegenüber allen Alternativen vorzüglich erscheint. Sie ist allerdings von begrenzter Dauer und von den Beteiligten auch nicht für die Ewigkeit gedacht.Das Forschungsprojekt hat den Kompromiss sowohl theoretisch-systematisch wie historisch erforscht. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass erst einmal trennscharf und präzise festgehalten werden muss, was ein Kompromiss ist und wie er sich von anderen Techniken unterscheidet, Konflikte zu regulieren oder zu lösen. Ohne Theorie ist das nicht möglich. Nur so können die Spezifika von Kompromissen analysiert werden. Kompromisse haben, so der systematische Blick, bestimmte Eigenschaften gemeinsam, sie unterschieden sich aber stark je nach Kontext. Das gilt historisch, weswegen das Projekt die Geschichte des Kompromisses vom Mittelalter bis in die Gegenwart untersucht hat. Das gilt für verschiedene Kulturräume, weswegen Kompromisse vergleichend in Europa, Nordamerika, Japan und Israel erforscht worden sind. Das gilt für Situationen, weswegen sowohl Kompromisse in Politik und Diplomatie als auch im Recht, in Literatur und Imagination und schließlich in der alltäglichen Interaktion betrachtet worden sind.
Ergebnisse – warum Kompromisse möglich sind oder scheitern
Dass Konfliktparteien bereit zu einem Kompromiss sind, ist nicht voraussetzungslos. Die Gründe, warum Kompromisse möglich sind oder scheitern, liegen auf verschiedenen Ebenen: Wichtig ist erstens die Einstellung der Beteiligten. Wer keinesfalls bereit ist, Zugeständnisse zu machen und damit keine Abstriche an den eigenen Zielen vorzunehmen, ist kompromissunfähig.
Entscheidend sind zweitens die Themen: Bei manchen Fragen ist es leichter, einen Kompromiss einzugehen, als bei anderen. So ist bei zähl- und teilbaren Gütern ein Kompromiss verhältnismäßig leicht möglich, etwa in Tarifverhandlungen. Mögen die Auseinandersetzungen auch hart sein, alle Seiten sind grundsätzlich an einer Einigung interessiert und wissen, dass dazu Zugeständnisse erforderlich sind. Ganz anders verhält es sich bei Werten und Moral. Religiöse Überzeugungen etwa lassen häufig Kompromisse nicht zu, da sie als Verrat an Prinzipien erscheinen. Umso bemerkenswerter ist, dass Kompromisse in religiösen und konfessionellen Streitfragen unter bestimmten Umständen in der Historie dennoch möglich waren.
Eine entscheidende Voraussetzung dafür, Kompromisse zu finden, sind drittens Verfahren und Mechanismen: Gibt es, etwa in der Diplomatie, anerkannte Instrumente, wie Verhandlungen geführt werden, ist es leichter, Übereinkünfte zu finden. Von besonderer Bedeutung sind hier Dritte, die Einigungen vermitteln können. Solche Mediatoren können die Konfliktparteien dazu bringen, aufeinander zuzugehen und Zugeständnisse zu machen.
Viertens spielt die Vorstellungswelt der Menschen eine große Rolle dabei, ob Kompromisse möglich sind. Während im europäischen Mittelalter etwa schmerzhafte Zugeständnisse in der Politik schwer zu vermitteln waren, gilt es in vielen heutigen Demokratien als unerlässlich, Abstriche an den eigenen Positionen vorzunehmen, um eine Einigung zu erlangen. Dort, wo Konsens und Harmonie hochgeschätzt werden, etwa im heutigen Japan, wird der Kompromiss anders eingesetzt als in Gesellschaften, die Pluralität und offene Debatten positiv bewerten.
Über alle Unterschiede hinweg gilt, dass Kompromisse für gegenwärtige wie vergangene Gesellschaften in allen Weltregionen entscheidend dafür sind, dass Konflikte bewältigbar bleiben. Ohne Kompromiss droht stets die Eskalation. Deshalb ist das Thema hoch relevant und wird es in Zukunft bleiben.
Interviews – 3 Fragen an …
… Prof. Dr. Ute Schneider
© Universität Duisburg-Essen
… Prof. Dr. Ulrich Willems
© Universität Duisburg-Essen
… Prof. Dr. Constantin Goschler
© Universität Duisburg-Essen
Links zum Projekt
Kontakt zum Projekt
Dr. Jan-Hendryk de Boer
Universität Duisburg-Essen
jan-hendryk.de-boer@uni-due.de