Dr. Gianmaria Liccardi, Gruppenleiter am Zentrum für Biochemie am Universitätsklinikum Köln, ist seit Beginn fester Bestandteil des CANTAR-Projekts. In einem Interview mit dem DLR Projektträger gibt er spannende Einblicke in seinen beruflichen Werdegang, seine Motivation und sein aktuelles Forschungsprojekt im CANTAR-Netzwerk.

© Uniklinik Köln
Dr. Liccardi, wie sind Sie ursprünglich zur Krebsforschung gekommen, und was motiviert Sie, in diesem Bereich zu arbeiten?
Mein Weg in die Krebsforschung begann auf einer sehr persönlichen Ebene, die nicht nur meine berufliche Laufbahn, sondern auch meine wissenschaftliche Neugier geprägt hat. Als ich noch sehr jung war, verlor ich meine Tante an metastasierten Darmkrebs. Sie war erst 39 Jahre alt und hinterließ zwei kleine Kinder. Zu dieser Zeit befand ich mich im ersten Jahr meines Studiums der Molekulargenetik an der
im Vereinigten Königreich. Es war das erste Mal, dass ich den Verlust eines mir nahestehenden Menschen erlebte, und es erschütterte mich zutiefst.Was mich am meisten traf, war die Tatsache, dass trotz aller Bemühungen niemand eine Lösung für sie hatte. Ihre Situation schien ein unvermeidbares Schicksal zu sein. Ein Arzt, der ihre Unterlagen durchging, verglich ihr Leben mit einer Kerze, die bald erlöschen würde – ohne dass es Hoffnung gab. In der Nacht, in der sie verstarb, machte ich mir und ihr ein stilles Versprechen: Ich wollte meinen Beitrag dazu leisten, Antworten und Lösungen für Krebs zu finden.
Auf intellektueller Ebene fasziniert mich Krebs als eine unglaublich komplexe und vielfältige Krankheit, die verschiedene biologische Disziplinen vereint – von der Forschung an Zellsignalen, der Genetik und Entzündungsforschung bis hin zur Immunologie und der Zelltodforschung. Die Forschung an Krebs weckt die biologische Neugierde, das ist für mich weiterhin eine enorme Motivation. Die Mechanismen hinter Metastasierung, Therapieresistenz und Immunflucht erfordern ein tiefgehendes Verständnis zellulärer und molekularer Prozesse. Es ist nicht nur die emotionale Motivation, sondern auch ein tief verwurzelter wissenschaftlicher Antrieb, der mich dazu bewegt, die komplexen Zusammenhänge der Krebsbiologie zu erforschen.
Sie haben viele Jahre in London gelebt und gearbeitet. Was macht Köln für Sie als Forschungsstandort attraktiv?
Ich bin nach Köln gezogen, als die Stadt sich gerade zu einem wichtigen europäischen Zentrum der Krebsforschung entwickelte – besonders in den Bereichen, die sich mit der Erforschung des Zelltods und der Erforschung von Entzündungsprozessen beschäftigen, den Hauptthemen meiner Forschung. Das war eine großartige Gelegenheit, Teil einer dynamischen und innovativen wissenschaftlichen Gemeinschaft zu werden. Köln hat mich mit seiner starken interdisziplinären Zusammenarbeit und dem Fokus auf komplexe Krankheitsmechanismen, einschließlich Krebs, überzeugt. Die Stadt bietet ein hochdynamisches Forschungsumfeld mit einigen der führenden Experten auf dem Gebiet der Zellbiologie und Krebsforschung.
Außerdem gibt es hier eine enge Vernetzung verschiedener Forschungsgruppen und Konsortien, die sich gemeinsam dafür einsetzen, wissenschaftliche Erkenntnisse in klinische Anwendungen zu überführen. In London wäre das in dieser Form nicht möglich gewesen, da die Forschung oft stärker auf einzelne Institute konzentriert ist und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Einrichtungen weniger intensiv stattfindet. Köln hingegen setzt stark auf interdisziplinäre Partnerschaften und darauf, Forschungsergebnisse schnell vom Labor in die klinische Praxis zu bringen. Teil eines Netzwerks zu sein, das Wissensaustausch, Zusammenarbeit und schnelle wissenschaftliche Fortschritte fördert, ist für mich ein unschätzbarer Vorteil im Kampf gegen Krebs.
„Teil eines Netzwerks zu sein, das Wissensaustausch, Zusammenarbeit und schnelle wissenschaftliche Fortschritte fördert, ist für mich ein unschätzbarer Vorteil im Kampf gegen Krebs.“
Dr. Gianmaria Liccardi
An welchen spezifischen Fragestellungen arbeiten Sie und Ihr Team derzeit?
Das genetische Material, das jede Zelle in unserem Körper charakterisiert, ist strikt auf einen bestimmten Bereich, den Zellkern, beschränkt. Bei vielen entzündlichen Erkrankungen, insbesondere bei Krebs, befindet sich DNA jedoch auch oft außerhalb des Zellkerns, im Zytosol. Diese fehlerhafte Akkumulation scheint eine Folge der charakteristischen Instabilität von Krebszellen zu sein und bietet ihnen einen klaren Überlebensvorteil sowie eine erhöhte Resistenz gegenüber Therapien.
Unsere Forschung konzentriert sich darauf, zu verstehen, wie dieser Prozess zur Krebsprogression und -etablierung beiträgt, um Schwachstellen zu identifizieren, die für eine verbesserte Therapie getestet werden können. Besonders interessiert uns die Rolle des Proteins STING (
) in Krebszellen und seine Beteiligung an der Erkennung von DNA-Akkumulation im Zytosol. Es ist bekannt, dass STING Immunreaktionen reguliert und Signalwege aktiviert, die zum Zelltod von Krebszellen führen können.Unser höchstes Ziel ist es, zu entschlüsseln, wie diese Mechanismen zur therapeutischen Resistenz und Immunevasion von Krebs beitragen. Durch das Verständnis der molekularen Grundlagen dieser Prozesse hoffen wir, neue Biomarker für die Therapieüberwachung sowie innovative therapeutische Angriffspunkte zu identifizieren, die die Behandlungsstandards für Krebspatienten – insbesondere für Patienten mit metastasierenden oder therapieresistenten Tumoren – verbessern könnten.
Was ist der besondere Ansatz des CANTAR-Forschungsnetzwerks?
Das CANTAR-Forschungsnetzwerk zeichnet sich durch seinen starken kollaborativen Ansatz zwischen den Partnerinstitutionen aus. Eine seiner größten Stärken ist die Vielfalt an Expertisen – von der Grundlagenforschung bis hin zu klinischen Anwendungen. Dieser interdisziplinäre Ansatz ermöglicht es Forschenden, ihre spezifischen Fähigkeiten, Techniken und Modelle zu kombinieren, um gemeinsame Forschungsziele effektiver zu erreichen. Dadurch können wissenschaftliche Entdeckungen schneller vorangetrieben und neue Ideen rasch getestet werden.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist der Fokus auf Kooperation über verschiedene Institutionen hinweg. Der schnelle Austausch von Daten und die enge Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen sind entscheidend für bahnbrechende Erkenntnisse. In meiner eigenen Arbeit bedeutet das, dass ich Zugang zu einer Vielzahl modernster Techniken und Modellsysteme habe, die in einem einzelnen Labor möglicherweise nicht verfügbar wären. Dank der interdisziplinären Struktur des CANTAR-Netzwerks bleiben Forschungsergebnisse nicht isoliert, sondern können schnell vom Labor in die klinische Praxis überführt werden – mit direktem Nutzen für die Patienten.
„Dank der interdisziplinären Struktur des CANTAR-Netzwerks bleiben Forschungsergebnisse nicht isoliert, sondern können schnell vom Labor in die klinische Praxis überführt werden – mit direktem Nutzen für die Patienten.“
Dr. Gianmaria Liccardi
Wie profitiert die Krebsforschung von der Förderung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen (MKW NRW)?
Die Förderung des MKW NRW spielt eine entscheidende Rolle für unsere Krebsforschung. Sie ermöglicht es uns, unsere Studien insbesondere im Bereich genetisch modifizierter Mausmodelle für Krebs- und Entzündungsforschung auszuweiten. Die finanziellen Mittel erlauben es uns, komplexe biologische Fragestellungen zu untersuchen und neue Therapieansätze zu testen – etwas, das ohne diese Unterstützung kaum realisierbar wäre, da die Haltung von Tiermodellen, langfristige Studien und moderne molekulare Analysen sehr kostenintensiv sind.
Darüber hinaus erleichtert die Förderung die Etablierung von Kooperationsnetzwerken und interdisziplinären Forschungsansätzen, die für die moderne Krebsforschung essenziell sind. Durch diese Mittel können wir effektiver mit klinischen Forschern und der Pharmaindustrie zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass unsere Erkenntnisse nicht nur theoretisch bleiben, sondern in die Praxis überführt werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Förderung von Vernetzung und Austausch innerhalb des CANTAR-Forschungsnetzwerks. CANTAR bringt Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen und Karrierestufen zusammen und schafft eine Umgebung, in der Zusammenarbeit und Innovation gefördert werden. Regelmäßige
Kurz gesagt: Die Förderung des MKW NRW sichert nicht nur unsere Forschung, sondern ermöglicht es uns, eine dynamische, kollaborative Forschungsumgebung zu schaffen, die die großen Herausforderungen der Krebsforschung effektiv angehen kann.
Was sind Ihre langfristigen Ziele und Visionen für die Krebsforschung?
Meine langfristige Vision für die Krebsforschung ist eine Welt, in der Krebs nicht mehr als unheilbare, tödliche Krankheit angesehen wird, sondern als eine behandelbare und kontrollierbare Erkrankung. Das ultimative Ziel ist es, Therapieansätze zu entwickeln, die es ermöglichen, Krebs so vorhersehbar und effektiv zu behandeln wie andere, gut kontrollierbare Krankheiten.
Ein zentraler Aspekt dieser Vision ist das Verständnis dafür, warum Krebszellen nach einer Behandlung nicht absterben. Wenn wir diese Mechanismen entschlüsseln, können wir gezielt eingreifen und Krebszellen wieder empfindlich für Therapien machen. Besonders Immuntherapien werden dabei eine Schlüsselrolle spielen. Wenn es gelingt, das Immunsystem so zu trainieren, dass es Krebszellen erkennt und zerstört, könnten wir den Körper befähigen, seine eigene Krankheit zu bekämpfen – ähnlich wie er es bei Infektionen tut.
Vor allem die Wechselwirkungen zwischen Krebszellen und dem Immunsystem besser zu verstehen, wird dabei entscheidend sein. Durch eine gezielte Modulation des Immunsystems könnten wir in Zukunft Therapien entwickeln, die Krebs präziser und effektiver bekämpfen – mit weniger Nebenwirkungen als herkömmliche Behandlungen wie Chemotherapie. Meine Hoffnung ist, dass Krebstherapien in Zukunft personalisierter, schonender und wirksamer werden, sodass Krebs keine Todesdiagnose mehr ist, sondern eine Krankheit, die sich behandeln, kontrollieren und möglicherweise sogar heilen lässt.
Read article in English: CANTAR (CANcerTARgeting) – Innovative Cancer Research in NRW
Links zum Projekt
Kontakt zum Projekt
Elisa Schmitz
CANTAR Teaching, Transfer and Communication
elisa.schmitz@uni-koeln.de
Dr. Verena Boschert
CANTAR Coordinator
verena.boschert@uk-koeln.de
Pressemeldungen
„CANTAR: Neues Forschungsnetzwerk eingeworben“
CECAD Cologne, 05.04.2022
„Uni Köln bei Anträgen für neue Forschungsnetzwerke erfolgreich“
Universität zu Köln, 31.03.2022